Kliniken in Berlin-Buch in der DDR
2020 © Thomas GadeAus dem Müll gerettete Negative geben Einblick in den Alltag des medizinischen Personals und in die Ausstattung des Krankenhauses Berlin-Buch zur Zeit der DDR.
1993 lag der Mauerfall erst wenige Jahre zurück. Ostberlin sah fast noch so aus wie zu DDR-Zeiten. Aber die Abwicklung vieler Betriebe aus der ehemaligen DDR war im vollen Gange. Dabei landeten leider auch zahlreiche Betriebsarchive im Müll.
Ich hatte damals im Auftrag eines Trägers zur Beschäftigung von Arbeitslosen häufig auf dem Gelände des großen Krankenhauskomplexes in Berlin-Buch zu tun. Auch dort wurden Gebäude entrümpelt und fleißig Sachen aus DDR-Zeiten entsorgt. Dieser brachialen Vergangenheitsbewältigung hatte die Einrichtung eines Fotolabors des Krankenhauses seinen Weg durch ein offenes Fenster in einen Müllcontainer zu verdanken. In letzter Minute konnte ich einen dicken Stapel Negative vor dem gleichen Schicksal bewahren. Erst Jahre später wurde mir bewusst, dass dieses Konvolut der Grundstein einer immer umfangreicher werdenden, eigenen Fotosammlung war.
Fotomaterial
Die Aufnahmen stammen aus der Fotowerkstatt des Krankenhauses. Die Namen der Fotografen sind unbekannt. In den medizinischen Folgebetrieben auf dem Gelände fand ich keine Unterlagen zum Personal aus Zeiten der DDR. Das Konvolut besteht aus rund 100 Schwarzweißfilmen im Kleinbildformat. Belichtet wurden Agfa Isopan F (17 Din / 40 ASA), ORWO NP 20 (20 Din / 80 ASA) und Filme von Svema. Mit zweistelligen ISO-Werten waren die Filme aus heutiger Sicht niedrigempfindlich.

Kleinbildfilme. Die Fotolaboranten färbten helle Stellen rötlich, um auf den Abzügen die Zeichnung in den Schatten zu verbessern.
Auf den ursprünglichen Hüllen und Listen standen Jahreszahlen und stichwortartige Angaben zu den Themen oder Namen von porträtierten Personen. Diese Informationen ermöglichen die zeitliche Zuordnung und Bildbeschriftung. Leider ließ sich nicht mehr ermitteln, welche Aufnahmetechnik eingesetzt wurde.
Grad der Erschließung
1993 war noch gar nicht daran zu denken, die Negative zu digitalisieren. Im Fotolabor wurden jedoch Kontaktabzüge erstellt, die Filme in neue Hüllen gepackt, darauf die ursprünglichen Angaben notiert und Inhaltsverzeichnisse getippt.
Ab 1999 verwendete ich diese Negative in mehreren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Fotos aus Museen digitalisierten, als Schulungsmaterial. Die Mitarbeiter hatten in den ersten Wochen erst einmal lernen, worauf es dabei ankam. Weder die Auflösung noch die Qualität der frühen Scans waren befriedigend. Aber der gesamte Bestand war irgendwann komplett am Computer zu sichten. Die Bildinfos wurden in die einzelnen Dateien als Metadaten eingebettet.
Im Zuge dieses Fortschritts wurde allmählich erkennbar, dass es sich um historisch wertvolle Aufnahmen handelte, sodass die Negative nicht mehr als Material zum Üben verteilt wurden. Glücklicherweise war man bis dahin pfleglich mit ihnen umgegangen, sodass keine erkennbaren Schäden aufgetreten waren.
Mit besserer Technik und leistungsfähigen Computern habe ich später selber viele Bilder digitalisiert. Die besten Ergebnisse gelangen mir durch das Abfotografieren mit einer DSLR.
In den Nachfolgebetrieben im Krankenhauskomplex in Berlin-Buch waren keine Ansprechpartner mehr zu finden, die weitere Infos zu den Fotos beisteuern konnten. Seit 2001 sind viele Bilder dieses Konvoluts auf dieser Website zu sehen. Seltsamerweise haben sich daraus nie Kontakte zu den dargestellten Personen ergeben, die einiges zur Erschließung hätten beitragen können.
Was zeigen die Fotos?
1. Betriebsausflüge und Partys
1960. Knutschen auf einer Party. Arzt mit Krankenschwestern.
Zwischen 1954 und 1967 unternahmen die Ärzte und Krankenschwestern jährlich Betriebsausflüge zu brandenburgischen Gewässern. Man sonnte, grillte, trank reichlich und war ausgelassen. Die Bilder vermittelten stets eine heitere Stimmung. Auch fanden die medizinischen Kollegen manche Anlässe zum Feiern. Sie hatten sich eine Bar, bzw. einen Partyraum im Keller eingerichtet, der mit Netzen an der Decke und aus Pappe ausgeschnittenen Seepferdchen, Fischen und Kraken dekoriert war. Während auf ähnlichen Fotos von Partys in Westberlin aus der gleichen Zeit Werbeartikel und Flaschen von Coca Cola nicht fehlen durften, trank man in Ostberlin Bier, Wein, Schnäpse aus östlicher Produktion und kubanischen Rum. Man scheute sich nicht, vor der Kamera zu knutschen.
Zwei spätere Fotoserien von Betriebsausflügen aus den Jahren 1979 und 1987 zeigen jedoch ernster blickenden Kollegen, die in Reisbussen Wittenberg und Frankfurt an der Oder zur Besichtigung von Sehenswürdigkeiten fuhren.
2. Krankenhausbetrieb

Um 1960. Ärzte und Krankenschwester während einer Operation
Viele Fotos dokumentieren den Krankenhausbetrieb. Zu sehen sind Ärzte beim Begutachten von Röntgenaufnahmen, Krankenschwestern beim Bedienen neuer medizinischer Geräte, OP-Teams bei der Arbeit, Verwaltung und mehr. Die Fotografen verstanden ihr Handwerk. Trotz der niedrigempfindlichen Filme gelangen ihnen in den Innenräumen gute Aufnahmen. Manche Szenen wirkten gestellt. Das war aber nur beim Betrachten der gesamten Bilderserien erkennbar, nicht jedoch bei einer kleinen Auswahl.

Arzt mit Zigarette beim Betrachten eines Röntgenbildes
Solche Fotos wurden unter anderem für Veröffentlichungen und Vorträge produziert. In der Frauenzeitschrift ‚für dich‘ Nr. 13 aus dem Jahre 1964 befindet sich beispielsweise der Artikel „alles für ein menschenleben“ mit Fotos von einer Gruppe Ärzte, die gemeinsam Röntgenbilder betrachten. Einige Negative aus der Serie befinden sich in meinem Konvolut. Bislang habe ich nur eine Reproduktion der Titelseite dieser Ausgabe gesehen. Vielleicht taucht sie auch mal bei eBay auf und gibt den Namen des Fotografen preis.
3. Auszeichnungen der Mitarbeiter

1983. Auszeichnung eines Mitarbeiters
Zwischen 1970 und 1986 durfte bei zahlreichen Veranstaltungen zur Auszeichnung von Mitarbeitern der Fotograf nicht fehlen. Sie wurden einzeln nach vorne gebeten, um eine Urkunde, Medaille und manchmal auch einen Blumenstrauß zu erhalten, während die anderen im Halbkreis drum herum standen. Offenbar wurden alle Mitarbeiter beim Handschlag mit dem Redner und der Entgegennahme ihrer Gaben fotografiert. Zu solchen Anlässen trug man bessere Privatkleidung und keine Krankenhauskluft. Gerade diese Bilder, die es auch aus zahlreichen anderen DDR-Betrieben gibt, vermitteln den Eindruck einer Wertschätzung der Mitarbeiter, die es in gleicher Weise in zivilen Unternehmen der BRD nur selten gab. Ob das eher unangenehme Veranstaltungen waren, zu denen man eine gute Miene machte, ließ sich nicht erkennen. Da werden die Beteiligten wohl unterschiedliche Meinung gehabt haben.
4. Pausen der Mitarbeiter

1958. Krankenschwestern im Pausenraum. Wein und Zigaretten gehörten dazu.
Auch Krankenschwestern und Ärzte brauchten zwischendurch Pausen. Zu den Erfrischungsgetränken gehörte dann auch Wein. Vielleicht wirkten die Krankenschwestern auf den Fotos der 1950er deshalb fröhlicher als in späteren Jahren.
5. Porträts der Mitarbeiter

Porträts vom Krankenhauspersonal
Aus den 1950ern stammen einige Filme mit Porträts des hochrangigen Personals, insbesondere Ärzte. Die Aufnahmetermine wurden manchmal auch genutzt, um persönliche Dokumente der Porträtierten fotografisch zu reproduzieren, wie Bildungsnachweise und private Bilder.
Perspektive
Perspektivisch gehören diese Bilder wohl in das Bundesarchiv oder Landesarchiv Berlin, wo vermutlich andere Dokumente aus dem Krankenhaus Berlin-Buch aus diesen Jahren gelandet sein dürften. Entsprechende Recherchen dazu stehen noch aus.
Veröffentlichungen

In der Zeitschrift Der Fotorestaurator 2002 II
2005. Ausstellung diverser Bilder im Technisches Museum Wien mit Österreichischer Mediathek.

Bericht über dieses Konvolut in der Zeitschrift PhotoKlassik 2020 III