Oktober 1990. Berlin. Friedrichshain. East-Side-Gallery
Fotos: Thomas GadeMärz 2013. Berlin. In den letzten Tagen berichteten die Medien häufig über die East-Side-Gallery. Das ist ein Rest von der Berliner Mauer, der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und Westberlin aus den Zeiten der DDR. Die Wand aus Betonsegmenten steht entlang der Mühlenstraße in Friedrichshain.
1990 machten sich Künstler daran, den Mauerstreifen mit Bildern zu bemalen. Bekannt ist der Trabbi, der durch die Mauer fährt und der Bruderkuss zwischen Erich Honecker und Leonid Breschnew. Aber auch andere Werke sind sehenswert. In den Tagen waren andernorts die sogenannten Mauerspechte aktiv. Das waren Leute, die mit Hammer und Meißel Stücke aus der Berliner Mauer heraus schlugen und als private Souvenirs oder als Ware für die zahlreichen Verkaufsstände von Mauerresten einsammelten. Die Bilderreihe auf der Mauer wurde schnell zur sogenannte East-Side-Gallery. Schon damals gab es eine Diskussion darüber, ob der Mauerstreifen abgerissen wird oder als Gesamtkunstwerk und Denkmal erhalten bleibt. Kein Politiker traute sich, eine Abrissentscheidung zu treffen. Angesichts der damals weitgehend ungeklärten Eigentumsverhältnisse für Grund und Boden, gab es zunächst auch keinen Entscheidungsdruck.
Der Ort wurde zu einem Anziehungspunkt für Berliner und Touristen. Die Stadt konnte sich glücklich schätzen. Im Gegensatz zu ihren teuren und immer weit mehr als ursprünglich geplant kostenden Sehenswürdigkeiten war hier eine entstandenen, für die niemand zur Kasse gebeten wurde. Aber wem gehörte sie? Die Künstler gaben sich große Mühe, ihre Bilder zu erhalten und Schäden durch Witterungseinflüsse immer wieder auszubessern. Hinter den Mauerstreifen befand sich eine Brachfläche bis ans Ufer der Spree. Der asphaltierte Weg wurde von den DDR-Grenztruppen für Patrouillenfahrten und zum Wechsel der Wachen auf den Türmen genutzt. 1990 war das Niemandsland, auf dem jeder machen konnte, was er wollte. Dort landeten ausgeschlachtete und zerbeulte Karosserien, überwiegend von ostzonalen Autos. Jugendliche hingen dort ab.
Schnee von gestern, alles lange her. Ältere Berliner, die den Ort aus den Zeiten seiner Wandlung zur Freiluft-Galerie kannten, und schon lange nicht mehr dort waren, hätte es kaum überrascht, wenn sie erfahren hätten, dass die bemalten Mauersegmente schon vor 10 Jahren für irgendwelche neuen Baumaßnahmen beseitigt wurden. Aber nun wissen es auch die Charlottenburger, Zehlendorfer, Reinickendorfer, Spandauer und Pankower: Es gibt die East-Side-Gallery immer noch. Sie ist nicht verschwunden wie viele illegale Bars und Clubs, die Anfang der Neunziger an allen möglichen baufälligen Orten im zentralen Grenzbereich entstanden oder das einst lebendige und quirlige Tacheles, in dessen Hof auf sandigem Boden zwischen Kunstwerken aus Abfall oder aufwändig bearbeitetem Metall das Bier zwischen vielen interessanten jungen und nicht mehr ganz so jungen Leuten besonders gut schmeckte.
Die aktuellen Medienberichte waren Anlass, einen Blick in das eigene Fotoarchiv zu werfen und nach früheren Bildern von der East-Side-Gallery zu suchen. Einige haben wir gefunden, aber nicht alle. Mit Sicherheit gibt es auch Fotos von dem Bruderkuss und weitere. Bei dem Interesse, dass diese lange bemalte Mauer hervorruft, mögen sich andere vielleicht auch gerne mal die alten Fotos ansehen. Daher stellen wir sie ins Netz. Im Gegensatz zu vielen anderen Fotos, die wir gegen Honorar zur Nutzung anbieten, weisen wir darauf hin, dass wir keine Bilder anbieten, auf denen Gemälde im Stil einer Sachaufnahme abgelichtet sind. Wer daran Bedarf hat, mag sich an die jeweiligen Künstler wenden. Falls einer von denen ein Problem damit hat, dass wir im Rahmen dieses Berichts solche Aufnahmen zeigen, mailt es uns. Dann nehmen wir die betreffenden Bild wieder raus.
Quo vadis East-Side-Gallery?
31. 3. 2013 - Thomas GadeWir fahren nach Friedrichshain zur East-Side-Gallery, einer langen von Künstlern bemalten Mauer, die einst ein Teil der Grenze zwischen Ost-und Westberlin war. Jeder Quadratzentimeter dieses Bauwerks aus den Zeiten des kalten Krieges wurde inzwischen mehrmals bemalt. Auf der Seite hin zur Mühlenstraße taten dies Künstler mit großflächigen Gemälden und auf der Rückseite tobten sich vor allem Graffity-Sprayer aus. Vom Frühling ist nichts zu sehen. Trotz der Schneereste sind in Berlin reichlich Touristen unterwegs, um die hiesigen Sehenswürdigkeiten betrachten. Die jüngsten Schlagzeilen haben die Aufmerksamkeit der Schaulustigen auf diesen Ort gelenkt.
Erwartungsgemäß drängen sie sich auf dem schmalen Bürgersteig zwischen der dicht befahrenen Mühlenstraße und der Mauer. Ihr Osterspaziergang hat sie hierher geführt. Meter für Meter stehen die Menschen mit ihren Smartphones und Kameras. Jedes Bild auf der Mauer wird im Sekundentakt fotografiert. Entweder lehnen sich Freunde dagegen, die von ihren Gefährten abgelichtet werden oder andere Fotografen hoffen auf die eine Sekunde, in der sich niemand vor einem bestimmten Bild befindet. Am heutigen Tag ist das ein rarer Glücksfall.

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Viele der Gemälde sind sehenswert, aber längst nicht alle. Zwischen der Mauer und der Spree verläuft an zwei Stellen ein längerer Grünstreifen, der von einer Baustelle mit Grube und darin stehenden Baufahrzeugen unterbrochen wird. In der Umgebung sind in den vergangenen Jahren auf der friedrichshainer Seite der Spree zahlreiche moderne Gebäude im kühlen und sachlichen Stil entstanden. Mittendrin steht die O2-Arena, vor der sich heute junge Leute drängen, die zum Konzert von Justin Bieber wollen. Gelegentlich gellt das Kreischen der jungen Mädchen herüber.

Wer einen gemütlichen Altbaukiez mag, in dem jede Mietskaserne die andere zu stützen scheint, wird sich hier verloren fühlen. Die neuen Bauwerke strahlen wenig Wärme aus Sie sind Einzelstücke und sollen auch so wirken. Kein Wunder, dass die konservative Nachbarschaft sich bedrängt fühlt von einem neuen kalten Stil, der von angesagten Architekten und internationalen Investoren diktiert wird.

Die East-Side-Gallery erscheint wie ein Bollwerk gegen solche Auswüchse, die an das Ufer der Spree drängen. ‘Fuck Mediaspree’ steht an einem der alten Gemäuer auf der Kreuzberger Seite der Spree. Die East-Side-Gallery ist ein Symbol für diese Haltung. Aber schauen wir mal genauer hin. Auf einem langen Stück entlang der Kulturmauer gibt es eine Grünfläche, auf der japanische Kirschbäume stehen, gespendet von Japanern. Es ist nicht zu erwarten, dass dieser Bereich zur Baufläche wird. Was spricht dagegen, durch die lange Mauer Durchbrüche hinzunehmen, wenn die geräumten Segmente einfach nur anders aufgestellt werden? Es wäre schön, die besten Bilder im Sonnenlicht zu sehen und nicht im Gegenlicht, wie jetzt. Dazu müsste die Mauer umgedreht oder ganz anders werden. Möglich wäre dies in mehreren parallelen Reihen auf einer Grünfläche, einem East-Side-Gallery Park, der die Werke besser präsentiert und nicht im Konflikt steht mit der Stadtentwicklung. Beispiele sind bereits vorhanden. Es gibt verschobene Mauerstücke, die beispielhaft zeigen, welche Alternative möglich ist. Sie so zu nutzen, dass die Werke besser zur Geltung kommen, ist eine Chance, die nicht mit bockigem Getue vertan werden sollte.

Dass der künstlerische Aspekt nicht auf die Mauerstücke der ehemaligen Grenzbefestigung reduziert ist, zeigt sich beim Yaam, einem gastronomischen Freizeitgelände im Trash-Look. Wände aller Art wurden hier gekonnt bemalt.

Schauen wir zurück und konstruieren daraus die Zukunft. Die Künstler, die 1990 die East-Side-Gallery gründeten, konnten seinerzeit nicht ernsthaft glauben, dass sie 23 Jahre später noch immer dort stehen würde. Diese Künstler werden größtenteils noch voller Saft und Kraft sein, aber gewiss nicht mehr in 20 Jahren. Was soll bis dahin aus der langen Betonleinwand werden? Wie sieht die East-Side-Gallery im Jahre 2033 aus? Wer von den einstigen Initiatoren ernsthaft und konstruktiv an einer realistischen Bewahrung der Bilder auf den Mauerstücken denkt, muss bald handeln und einen Kompromiss anstreben, der höchst wahrscheinlich eine bedeutend bessere Präsentation der Bilder zufolge hat, nämlich in Form eines Parks, in dem kürzere Mauerstreifen parallel nebeneinander mit Grünflächen dazwischen aufgestellt sind und in einer angenehmeren Atmosphäre besichtigt werden können als auf dem engen Gehweg neben der vielbefahrenen Mühlenstraße.

Die Künstler sollten darauf pochen, dass der Senat die entsprechende Mittel zur Verfügung stellt, nicht nur zur Umgestaltung des Parks, sondern auch für konservatorische Maßnahmen, die dazu beitragen, dass die Mauersegmente und die ursprünglich darauf zu sehenden Bilder dauerhaft erhalten bleiben. Die Stadtentwicklung und finanzstarke Investoren werden sich auf Dauer nicht von einer Mauer aus einer alten Grenzbefestigung aufhalten lassen. Ein Hand-in-Hand-Arbeiten mit dem Kapital wäre in diesem Falle sinnvoll, um die oben genannte Idee in bestmöglicher Form umzusetzen und ein touristisches Highlight zu schaffen, das der modernen Stadtentwicklung nicht im Wege steht, sondern in Form einer offenen Mauer an die Tage der Maueröffnung erinnert und nicht an die Zeiten davor.
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